Ein Hoch auf uns – die Schweiz
Rafael Strub – 14.09.23
Das waren noch Zeiten, als im Jahre 2014 pünktlich zur Fussballweltmeisterschaft in Brasilien der Ohrwurm von Andreas Bourani rauf und runter gespielt wurde. Es kam, wie es kommen musste: Deutschland wurde Weltmeister, the sky was the limit. Kollektiver Freudentaumel, kurzum «ein Hoch auf uns». Ein Jahr später, also 2015, lautete der Slogan «Wir schaffen das». Deutschlands Mottojahre hatten ihren Höhepunkt erreicht.
Die Zeiten haben sich seither stark verändert. Eine Pandemie später, um einen anhaltenden Krieg vor der Haustüre und eine unverdaute Wirtschaftskrise reicher, offenbaren sich innerhalb Europas jähe Gräben in der Wirtschaftsleistung, in der Innovation, im technischen Fortschritt und in Sachen politische Umbrüche. Die Zugpferde des alten Kontinents lahmen unter der ihr aufgebürdeten Last. Zunehmende Tendenzen zeigen primär die Bereiche Regulation und neue Gesetzgebungen. Die Gefahr für einige Staaten, zu sogenannten Satrapenwirtschaften zu verkommen, ist nicht kleinzureden.
Und doch gibt es sie, die leisen, unaufgeregten, erfolgreichen und nicht minder selbstbewussten Schaffer in Europa. Dazu darf sich auch die Schweiz zählen. Zusammen mit den meisten skandinavischen Ländern bewegen wir uns auf der Sonnenseite. In der Schweiz künden wir nicht an, wir tun es einfach. Still und ordentlich. Denn je grösser und lauter die Töne, desto grösser die Probleme. Dieser Komparativ lässt sich in jüngster Vergangenheit leider zu oft beobachten.
Grosse Divergenzen zeigen sich auch bei den europäischen Teuerungsraten. In der Schweiz belief sich die Inflationsrate im August auf 1.6%, währenddessen jene der Eurozone 5.3% betrug. In Deutschland sind es gar 6.1%. Wie gelingt es also der Schweiz, eine derart tiefe Inflationsrate im Vergleich zu ihren Nachbarstaaten auszuweisen?
Wie so oft basiert eine konjunkturelle Entwicklung auf mannigfaltigen Grundlagen. Ein gewichtiger Faktor ist sicherlich der Schweizer Franken – der sichere Hafen oder «Safe Haven», wie er gerne in Krisenzeiten umschrieben wird. Seit seinem Tiefpunkt im Frühjahr 2021 hat der Schweizer Franken gegenüber dem Euro um über 15% aufgewertet. Somit wurde diskret ein Teil des importierten Inflationsdrucks abgefangen.
Doch nebst dem Schweizer Franken als eine Art Teuerungsschutzwall trug auch der unabhängige Energiemix der Schweiz zu einer verhältnismässig milden Inflationsentwicklung bei. Der Schweizer Energiebedarf wurde im Jahr 2021 zu rund 80% aus erneuerbaren Energien gedeckt (68% Wasserkraft und 11% aus Photovoltaik, Wind, Kleinwasserkraft und Biomasse). Zusätzlich stammten weitere 19% aus Kernenergie. Lediglich 2% sind noch auf mehrheitlich fossile Energieträger zurückzuführen. Der Energiemix ändert sich allerdings von Jahr zu Jahr, da insbesondere die Stromproduktion aus Wasserkraft stark von Niederschlagsmengen beeinflusst wird.
Es drängt sich ein Vergleich mit Deutschland – der grössten Volkswirtschaft der Europäischen Union (EU) – auf. Die höhere Abhängigkeit Deutschlands vom fossilen Energieträger Erdgas (13%) ist augenscheinlich. Im Jahr 2020 war Erdgas mit einem Anteil von 31.2% gar wichtigster Energieträger. Der Anteil an russischen Gaslieferungen nach Deutschland betrug im Jahr 2021 55%. Folglich musste durch den vollzogenen Boykott eine rasche Substitution erfolgen, die schliesslich in teuren Flüssigerdgas-Lieferungen aus den USA mündete. Die in Deutschland sehr umstrittene Thematik der Kernenergie lassen wir zu Gunsten der Leselänge aus, auch wenn diese nicht minder bedeutsam wäre. Das Endprodukt dieses politischen Spagats resultierte in einer Befeuerung der deutschen Teuerungsrate.
Über der Schweizer Wirtschaft thront die Schweizerische Nationalbank (SNB), welche jeweils strategisch im Hintergrund die Fäden zieht und auch jüngst die Geldpolitik der Eidgenossenschaft mit grösstmöglicher Weitsicht bestimmt. Neben ihrem Auftritt als geldpolitischer Kompass der Schweiz tritt sie gleichzeitig als eine milliardenschwere Investorin auf dem internationalen Finanzmarkt-Parkett auf. Die Rufe nach einer Aufteilung der Aufgabengebiete und der Aufsetzung eines separaten Anlagefonds – ganz nach dem Vorbild des norwegischen Staatsfonds – werden lauter, insbesondere aufgrund des hohen Fremdwährungsbestands von CHF 800 Mrd.
Doch auch ohne das Bestehen eines gesonderten Staatsfonds ist die SNB ein Segen für die Schweiz und ihre Körperschaften. Durch die in der Regel jährlichen Auszahlungen in Milliardenhöhe an Bund und Kantone profitiert schlussendlich auch die Bevölkerung. In den letzten beiden Jahren flossen jeweils sechs Milliarden Franken (die maximal mögliche Auszahlungssumme) an die öffentliche Hand. Doch nicht so in diesem Jahr: Durch den empfindlichen Verlust von gut CHF 130 Mrd. des vergangenen Geschäftsjahres erfolgten keine Ausschüttungen. Dies war letztmals 2014 der Fall. Dies soll dennoch keineswegs über die wichtigste Nebentätigkeit der SNB hinwegtäuschen. Das Wertschriftenportfolio der SNB trug in der Vergangenheit durch dessen Gewinnausschüttungen zu einer positiven Wohlstandsentwicklung der Schweiz bei – und dies wird wohl auch in Zukunft der Fall sein.
Die beschriebenen Faktoren beeinflussen unser tägliches Leben. Sie wirken sich folglich auf unsere Zufriedenheit und den Wunsch nach Stabilität sowie Sicherheit aus. Und gemäss Erhebungen des Bundesamts für Statistik (BFS) fühlten sich fast drei Viertel der Schweizer Bevölkerung meistens oder ständig glücklich. Mit derartigen Werten konnten in der Vergangenheit meist nur Österreich, Irland sowie einige nordische Nationen wie Finnland, Norwegen oder Dänemark mithalten.
Nur 3.9% der Schweizer Gesamtbevölkerung schätzen ihren Gesundheitszustand als schlecht oder sehr schlecht ein, so wenige wie in keinem anderen Land in Europa. In der EU sind es deren 8.8% und in Deutschland gar 12.4%, der europaweit fünfthöchste Wert. Auch wenn es sich dabei lediglich um studienspezifische Momentaufnahmen handelt, lassen sich kausale Zusammenhänge zwischen kulturellen, politischen sowie konjunkturellen Zuständen nicht ignorieren.
Sich primär auf bestehende innereuropäische Handelspartner zu verlassen, dürfte sich in einer dem steten Wandel unterliegenden Welt auf Zeit rächen. Auch für ein agiles Land wie die Schweiz bleiben Herausforderungen zu meistern. Doch danke für die Zuversicht, Andreas – ein Hoch auf die Schweiz. Wir schaffen das!
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